Prof. Dr. Schramm-Wölk, Ingeborg: Präsidentin Fachhochschule Bielefeld

Foto: Hirschmeier Media

Profil

Dr. Ingeborg Schramm-Wölk ist seit 2015 Präsidentin der Fachhochschule Bielefeld. Die 58-Jährige ist zuständig für die Leitung und Entwicklung der Hochschule, die Vertretung nach außen und für das Zusammenwirken der Organe und der Mitglieder der Hochschule.  Sie verantwortet die strategische Standortbestimmung der Hochschule und steht für die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung sowie für den Fokus auf Internationalisierung.

Neben der strategischen Ausrichtung ihrer Hochschule ist Schramm-Wölk an der Entwicklung der Hochschullandschaft auf Landes- und Bundesebene beteiligt. Sie engagiert sich als stellvertretende LRK-Vorsitzende (Landesrektor*innen HAW NRW, s. https://haw-nrw.de/), Vorstandsmitglied für Uni Assist e.V., der zentralen Anlaufstelle für Studienbewerbungen mit internationalen Zeugnissen für derzeit rund 180 deutsche Hochschulen. Sie ist im Vorstand des DAAD e.V. aktiv, der u.a. für die Förderung der Internationalisierung der deutschen Hochschulen steht. Sie ist Vorsitzende von Campus OWL, der Plattform der fünf regionalen Hochschulen zur Entwicklung von Kooperationen und Erhöhung der Sichtbarkeit der Wissenschaftsregion Ostwestfalen-Lippe.

Nach dem Studium der Biologie und der Medizininformatik in Tübingen und Berlin war Ingeborg Schramm-Wölk als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Charité Berlin beschäftigt. Außerdem war sie mehrere Jahre in der Industrie als IT-Entwicklerin und Projektmanagerin tätig. 2004 promovierte sie an der Humboldt-Universität Berlin. Einem Ruf an die Beuth-Hochschule Berlin folgte eine Professur für die Lehrgebiete Informatik und Multimedia an der Hochschule Anhalt in Köthen. 2009 erhielt sie eine Professur für Informatik und Biologie an der Hochschule Rhein-Waal. Als Gründungsdekanin war sie zudem mit dem Aufbau der Fakultät Kommunikation und Umwelt am Standort Kamp-Lintfort befasst.

Prof. Dr. Ingeborg Schramm-Wölk im Gespräch mit Vera Wiehe über eine Fachhochschule, die der Corona-Krise trotzt und erfolgreich wächst

Wie verändert die Corona-Krise die Arbeitsweise in der Hochschule?

Wie bei allen großen Einrichtungen und Unternehmen führte das letzte Jahr zu einer großen Umstellung der Angebote und Arbeitsweisen.

Wir hatten großes Glück, denn als diese Krise eintrat, war die Fachhochschule Bielefeld im Verbund der Bibliothek und der Datenverarbeitungszentrale schon seit zehn Jahren mit der Digitalisierung befasst. Unser Medienlabor unterstützt und berät bei der medialen Vorbereitung von Lehrveranstaltungen. Die Hochschulbibliothek bietet für das Lehrpersonal Dienstleistungen, wie z.B. Beratung, Schulungen und Workshops rund um das Thema digitale Lehre an und bereitet digitale Semesterapparate vor. Die hochschulweit genutzte Lernplattform ILIAS bietet ein umfangreiches Repertoire an Lehr- und Lernmaterialien (Vorlesungsskripte, interaktive Übungen, Lehrvideos, Praktikumsanleitungen etc.) sowie ein fachübergreifendes digitales Kursangebot wie z. B. Sprachkurse, Kurse zu EDV- und Softskills.

Als dann Corona eintrat, waren wir tatsächlich schon sehr gut vorbereitet und ausgestattet und hatten gute technische Voraussetzungen, um in kurzer Zeit die Umstellung auf eine virtuelle Lehre mit Distanzunterreicht und hybriden Formen zu schaffen. Prof. Ulrich Schäfermeier, Vizepräsident für Lehre und zukünftig für Internationalisierung, konnte zudem ad hoc ein Keep-Teaching-Team einsetzen, welches die Lehrenden bei der Umstellung optimal begleitete.


Wie können Sie die Aufnahme der Erstsemester erfolgreich gestalten?

Wir können noch gar nicht absehen, wie sich die Kontakteinschränkungen und Arbeitsweisen auf Distanz langfristig auf die jungen Menschen auswirken werden.  Sie kommen nach einem Abitur ohne Feierlichkeiten an eine Hochschule und lernen dieses Leben lediglich über virtuelle Begegnungen kennen.

Unsere Studiengangsleitungen haben mit Hilfe von Filmen und im Rahmen von virtuellen Erstsemesterwochen die Studiengänge vorgestellt und die Lehre gestartet. Wir haben, je nach Lage, Kombinationen von Präsensunterricht und digitalen Formaten entwickelt. So haben wir mit Prof. Dr. Jörn Loviscach, Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik, einen engagierten Vorreiter im Bereich des E-Learnings, der viele komplizierte ingenieurswissenschaftliche Zusammenhänge für Vorlesungen im virtuellen Raum filmisch aufgearbeitet hat. Die Studierenden arbeiten z.B. über Zoom gemeinsam in Gruppen und entwickeln Szenarien zur Lösung von Aufgaben bis hin zur Erarbeitung von praktischen Gegenständen über 3D – Programme. Es gibt so viele bemerkenswerte Projekte, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Bislang scheint es so, dass die Studierenden sich sehr gut aufgenommen fühlen. Aber die digitale Didaktik ersetzt natürlich nicht das reale Leben. Die Studierenden leben häufig noch bei den Eltern, weil es sich nicht lohnt, für die geringen Anwesenheitszeiten eine Wohnung am Studienort zu nehmen. Dieser Schritt in die eigene Wohnung als Ritual fehlt ebenso wie das soziale Lernen in Gruppen. Ein weiteres Problem ist, dass die Studierenden weniger Chancen haben, für ein oder zwei Semester ins Ausland zu gehen, auch kurzfristige Intermezzi in Unternehmen sind ein Problem. Das Studium als Lebensabschnitt ist in vielerlei Hinsicht von Bedeutung und wir nehmen vielen jungen Menschen einen ganzen wichtigen Teil ihrer Jugend. Die aktuelle Situation ist für die jungen Menschen ein echtes Drama und ich finde es sehr bemerkenswert, wie ruhig die Studierenden sind und mit welcher Geduld sie versuchen, den pandemischen Fußabdruck gering zu halten. Wir sind regelmäßig im Gespräch mit den Studierenden, nehmen ihre Bedürfnisse auf und arbeiten kritische Punkte systematisch ab, um die Selbstwirksamkeit zu erhöhen.

Ich sehe aber auch positive Seiten an dieser Entwicklung. Diese radikale Veränderung führt dazu, dass vieles Althergebrachtes in Frage gestellt, eine Veränderungsbereitschafft evoziert und unsere Kompetenzentwicklung angepasst werden muss. Es ist sehr spannend, dass die Perspektive junger Menschen eingebunden wird, die ja auch eine große Bereitschafft mitbringen und vieles gut spiegeln können. Ich nehme zum Beispiel die Fridays for Future – Bewegung, eine für mich sehr hoffnungsbringende Bewegung.  Sie finden dort so viele junge Menschen mit ausgeprägter Kompetenz, Eloquenz und der Bereitschaft, sich intensiv auseinanderzusetzen, sich politisch zu schulen, sich miteinander vernetzen. Das sind enorme Kompetenzen, die sich die jungen Menschen angeeignet haben, um für ein Ziel einzutreten, dass bereits vor vielen Jahren der Club of Rome formuliert hat.

Auch wenn diese Bewegung durch Corona beeinträchtigt wurde, ist sie ein beeindruckendes Zeichen dafür, dass viele kluge junge Menschen ihren Platz in der Gesellschaft finden und verantwortungsvoll mitgestalten können. Das erlebt man auch bei uns an der Hochschule und ich halte es für wichtig, dass wir mal zurücktreten und mehr zuhören sollten.

Wie muss das Zusammenspiel von Hochschule und Wirtschaft in Corona-Zeiten neu gedacht werden?

Tatsächlich ist es so, dass mit dem praxisintegrierten Studium der ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge die Studierenden sowohl an der FH Bielefeld eingeschrieben als auch in einem Unternehmen beschäftigt sind. Die Praxisphasen im Betrieb wechseln sich etwa vierteljährlich mit Theoriephasen an der Fachhochschule ab. Die berufspraktische Tätigkeit kann im Rahmen einer Berufsausbildung oder im studienbegleitenden Praktikum erbracht werden. Die FH steht für angewandte Wissenschaften, wozu gehört, dass die Studierenden in der Lage sein sollen, den Wissenschaftsstoff auf tägliche Bereiche in der Anwendung zu übertragen und in die Umsetzung zu bringen.  Aktuell ist die Herausforderung an die jeweils Lehrenden die didaktische Vermittlung des Anwendungsbezugs im digitalen Raum zu gewährleisten. Das sieht z.B. in den Ingenieurswissenschaften so aus, dass ein Versuchsaufbau simuliert und diese Anordnung den Studierenden im 3D Drucker ausgedruckt nach Hause geschickt wird. Sie bauen dann selbständig den Versuch auf und müssen ein physikalisch – mechanisches Räderwerk in Gang setzen.

Die Praxisphase können aktuell nicht alle Unternehmen anbieten, dann müssen wir Ersatz schaffen, aber auch die Unternehmen sind findig und engagiert, weil es ja um ihre zukünftigen Mitarbeitenden geht. Pragmatismus ist auf allen beteiligten Seiten gut ausgeprägt.

Insbesondere in der Forschung funktionierte das Zusammenspiel außerordentlich gut, wovon viele erfolgreiche Projekte zeugen. OWL ist ein Innovationsökosystem, die gemeinsame Arbeit, der Transfer Wirtschaft – Wissenschaft und umgekehrt ist hervorragend ausgeprägt.

Die Fachhochschule Bielefeld steht im Hochschulranking des Centrums für Hochschulentwicklung sehr gut da. Sie planen auch die nächste Hochschulerweiterung.

Ein besonderes Augenmerk legen wir auf die Anwendungsorientierung und den Praxisbezug unserer Studiengänge. Daher bin ich glücklich, dass die Studierenden die Ausstattung unserer Labore schätzen und wir bei dem Kontakt zur Berufspraxis sehr gut abgeschnitten haben.

Es ist sehr faszinierend, dass wir in allen Fachbereichen Kolleg*innen haben, die in ihren wissenschaftlichen Feldern in der obersten Liga mitspielen. Wenn man so exzellente Leute hat, ob im Fachbereich Gesundheit oder Gestaltung oder in den Ingenieurswissenschaften dann ist es wichtig die Interdisziplinarität zu fördern. Wenn jemand eine Idee hat, schaffen wir die notwendigen Kooperationen: die Gestalter mit den Wirtschaftswissenschaften, die Gesundheitswissenschaftler mit den Ingenieuren. Das ist ein Eldorado für diejenigen, die in der Lage sind, diesen Menschen Impulse und Raum für ihre Ideen zu geben.

Das ist auch beim Gründungsthema so. Unser Center for Entrepreneurship (CfE), das seit 2020 durch das Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird, will gezielt die Gründungskultur an der Hochschule und damit Start-ups aus der Wissenschaft stärken. Als Hochschule, die sich nach ihrem Selbstverständnis auch an regionalen Bedarfen ausrichtet, werden wir mit dem Center noch sichtbarer im regionalen Gründungs-Ökosystem.

Das Miteinander im noch neuen Gebäude mit drei Fachbereichen unter einem Dach läuft wirklich wunderbar, die Wege sind kurz, es gibt viele Begegnungen und Möglichkeiten sich auszutauschen.  Es ist in einer so großen Organisation sonst nicht leicht, die jeweiligen Leistungen der anderen präsent zu halten.  

Dieser Neubau ist auch verbunden mit steigenden Studierendenzahlen? 

Planungsprozesse dauern sehr lange. Im Prinzip war der Neubau schon zu klein, als wir eingezogen sind, so dass der Fachbereich Gestaltung nicht mit einziehen konnte. Inzwischen haben wir schon weitere Liegenschaften angemietet, denn wir brauchen für den neuen Fachbereich Gesundheit, unsere erfolgreichen Forscher*innen und die vielen erfolgreichen Internationalisierungsprojekte mehr Platz.  Wir haben bereits zwei Mal im Rahmen der International Week mit mehr als 70 Veranstaltungen 50 Kolleg*innen aus aller Welt nach Bielefeld geholt.

Den geplanten Neubau denken wir in zwei Bauabschnitten, ein Baufeld in unmittelbarer Nähe der Fachhochschule mit einer Größe von maximal 12.000 m2. Der Neubau soll vor allem dem Fachbereich Gesundheit und den Gestalterinnen und Gestaltern Raum geben. Wir wissen schon jetzt, dass dieser neue Platz nicht ausreichen wird. Wir haben eine interdisziplinäre Forschungsstrategie gestartet und haben einige größere Forschungsprojekte in der Pipeline, die sich auf einem guten Weg befinden.  Die Lampingstraße werden wir sanieren und für die Fachhochschule erhalten.

Diese Fachhochschule sprudelt im Moment voll Entwicklungen, mit den vielen jungen Kolleg*innen, deren Erfolge durchaus bundesweit sichtbar sind.

Welchen Stellenwert hat das Thema Gender-Diversity an der Fachhochschule?

Die Fachhochschule Bielefeld war die erste, die einen Kindergarten gebaut hat, für mich ein Symbol einer langen Tradition erfolgreicher Gleichstellungsarbeit. Hinsichtlich der Chancengleichheit von Männern und Frauen nimmt die Fachhochschule Bielefeld eine landes- und bundesweite Spitzenposition ein. Unsere Gleichstellungsstelle berät Studierende bei Fragen zur Gleichstellung und bietet Lehrenden Schulungen zur Stärkung ihrer Genderkompetenz an und setzt sich für gendergerechte Sprache ein. Die FH Bielefeld hat sich zum Ziel gesetzt, vermehrt Frauen und Mädchen für naturwissenschaftliche-technische Studiengänge zu gewinnen und führt dazu verschiedene Maßnahmen durch.

Ich bin stolz darauf, dass die Fachhochschule Bielefeld in NRW Spitzenreiter ist bezüglich der Anzahl von Professorinnen. Das ist für mich das Ergebnis einer gezielten Personalpolitik: so gibt es über 60 verschiedene Arbeitszeitmodelle und die Hochschule ist nach dem audit familiengerechte Hochschule zertifiziert.

Die Situation an unserer Hochschule kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Deutschland im Jahr 2021 noch so viele Frauen gibt, die für vergleichbare Arbeit schlechter bezahlt werden, und dass es kaum eine Frau gibt, die nicht in ihrem beruflichen oder privaten Lebensumfeld Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts erlebt hat. Das motiviert uns, weiter zu machen. Unser Personalmanagementprojekt beinhaltet auch die Themen Personalgewinnung und Onboarding gendergerecht zu gestalten und so die Fachhochschule für Frauen noch attraktiver zu machen.

Was sind Ihre Erfolgseigenschaften?

Wichtig sind mir meine Freude an der Gestaltung und meine Freude an Menschen.
Ich genieße das Leben als Professorin an einer Hochschule in Deutschland, es gibt im Prinzip keinen Arbeitsplatz mit größerer Freiheit: der Freiheit Dinge zu gestalten und  zugleich gemeinsam im hochqualifizierten Team zu arbeiten.  Diese Erfahrung macht demütig. Wichtig ist es, einen Schritt zurück zu treten und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.

Haben Sie Karrieretipps für engagierte junge Frauen?

Ich bin selbst Mutter eines Sohnes und wünsche mir eine kinderfreundliche Gesellschaft, die Vertrauen in junge Frauen hat und befreit ist von Geschlechterklischees. Leider sind wir noch nicht soweit. Junge Frauen brauchen weibliche Vorbilder.
Ich glaube alle Karrieren und Entwicklungen sind auch geprägt von Zufällen. Wichtig ist es, Chancen zu erkennen, sie zu ergreifen und vielleicht auch mal ein Wagnis einzugehen. Ich rate jungen Frauen, ihre Ziele mutig zu verfolgen, auch wenn man einmal scheitert, nach der Devise: „Hinfallen, aufstehen, weitergehen“.