Profil
Julia Kümper hat mehrjährige Erfahrungen als Gründerin und Innovationsberaterin und begleitet die VentureVilla in Hannover seit deren Gründung in 2016 als Mentorin & seit 2018 als Geschäftsführerin. Die Villa wird von der Wirtschaftsförderung Hannover finanziert und bietet Early Stage-Startups im Bereich der Web- und Softwaretechnologie ein 100-tägiges Accelerator-Programm mit individuellem Coaching und Mentoring, eigene Arbeitsplätze und Zugang zu einem großen Netzwerk an Investor*innen. Darüber hinaus bietet die Digital Academy der VentureVilla umfangreiche Online-Weiterbildungsmöglichkeiten für Gründer*innen.
Die VentureVilla steht für Chancengleichheit und Diversity und versteht sich als Safer Space für Startups. Gründungsteams werden unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Alter und Sexualität unterstützt, Diskriminierung wird explizit ausgeschlossen. Damit soll mehr Gleichberechtigung in der Startup Szene gefördert werden
Julia Kümper ist zuständig für die strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung der VentureVilla, das Hinterfragen der Geschäftsmodelle & Ideen der Startups sowie für die Kooperation mit relevanten Stakeholdern. Die 35-Jährige positioniert sich klar für Diversität und die Vereinbarkeit von Beruf &Familie in der Venture Capital und Startup-Szene. Zusätzlich ist Julia Kümper Geschäftsführende Gesellschafter der Ventreneurs GmbH. Das Ziel dieses Unternehmen ist es mit Hilfe von Impact Investment, Menschen mit Visa-Status, die nicht in der Lage sind zu gründen, in Anstellung zu bringen und innerhalb der Anstellung ihre Gründungsidee zu verfolgen.
Julia Kümper im Gespräch mit Vera Wiehe über die VentureVilla, Sexismus in der Startup- und Investor*innen Szene und Erfolgstipps für Gründerinnen
Was ist ihr beruflicher Hintergrund und was treibt Sie an?
Ich begann nach dem Abitur mit einem Lehramtstudium der Fächer Physik und Geschichte an der RHTH Aachen, wechselte nach einer Krankheitsphase und schloss in Osnabrück mit einem Master in Geschichte und politischer Wissenschaft ab. Ich habe mich auf demokratisches Regieren und Zivilgesellschaft fokussiert, weil mir sehr wichtig ist, dass alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können. Als Studierende habe ich die Deutsche Nachwuchsgesellschaft für Politik und Sozialwissenschaft als Verein gegründet, dessen Ziel es immer noch ist, eine Plattform für Studierende der benannten Fachrichtungen zu sein. Während des Studiums habe ich erst als Projekt-Koordinatorin im Bereich Hebammenwissenschaft an der Hochschule Osnabrück gearbeitet und dann nach dem Studium im Enterprise Europe Network, das Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bei der Erschließung von Auslandsmärkten unterstützt.
Da mir bewusst war, dass ich mich weiterentwickeln wollte und dies an der Hochschule nicht möglich war, habe ich nebenberuflich mein erstes Unternehmen, die Match-Watch GmbH gegründet. Hierbei ging es um Teamentwicklung durch die Analyse von Fußballspielen. Durch diese Gründung bin ich 2016 als Mentorin zur VentureVilla gekommen. 2018 bin ich schwanger als Mit-Geschäftsführerin in der Villa eingestiegen, seit Anfang 2021 bin ich alleinige Geschäftsführerin.
Die VentureVilla gilt als Safer Space. Was bedeutet das?
Die VentureVilla ist ein Safer Space für Chancengleichheit und Diversität, wir begleiten insbesondere Frauen und wollen neben Geschlechtervielfalt alle Dimensionen von Diversität bei uns etablieren. Wir fördern Gründungsteams unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Alter und Sexualität. Bei uns bekommt jede*r die gleiche Chance, sich durch unsere Angebote weiterzuentwickeln – das gilt sowohl für das 100-tägige Accelerator-Programm als auch für die Weiterbildungsmöglichkeiten der Digital Academy. Unsere Vision ist es, damit ein Gegengewicht zur strukturellen Diskriminierung bestimmter Personengruppen in der Startup-Szene zu bilden und den Weg für mehr Gleichberechtigung in der Branche zu ebnen. Das ist nötig, denn der Startup-Gründerinnenanteil in Deutschland liegt aktuell bei 15,7% und weibliche Teams sind auch bei der Finanzierung durch „gender bias“ benachteiligt. Ursache hierfür ist strukturelle Diskriminierung in der Startup-Branche. Auch Gründer*innen in unserem Umfeld berichten uns häufig von Diskriminierungserfahrungen, die sie machen mussten. Für uns ist das selbstverständlich, doch in der Branche leider noch lange kein Standard. Deswegen haben wir uns entschieden, unsere Haltung intensiver zu kommunizieren.
Im Rahmen unserer Arbeit wollen wir sichtbar machen, welche Barrieren die Startup-Szene setzt. Eine davon ist Sexismus. Diesen finden wir auch im Bereich der Investitionen. Man baut Fonds, man sammelt Geld ein, meistens von Männern.
Investoren stellen Frauen häufiger risikobehaftete Fragen, Männer werden eher nach ihren Visionen gefragt. Männliche Investoren erwarten eher eine Gegenleistung. Im Rahmen von Abhängigkeitsverhältnissen gibt es im Gegensatz zur Arbeitswelt im Angestellten Dasein weniger schützende Rechte. Die uns geschilderten Erfahrungen reichen von Fragen zur Familienplanung oder nach der Offenheit für Abenteuer bis zu guten Bewertungen für persönliche Dienstleistungen. Was im Film die Besetzungscoach ist, ist in der Investorenszene die Investmentcoach.
Wir haben deshalb um Erfahrungsberichte von Gründerinnen gebeten, um den Sexismus zu benennen und an Situationen aus der Realität aufzuzeigen. Daraus haben wir zum Weltfrauentag ein Video veröffentlicht, das zeigen wir auch auf unserer Internetseite. https://www.youtube.com/watch?v=qYaAjKukLIw
Wir haben einen Diversity-Guide für Start-ups und Mentor*innen herausgegeben.
Wie wollen sie die Investoren gewinnen und überzeugen?
Die Studienlage zeigt, dass Diversität einen höheren return of invest erzeugt als nicht diverse Teams das können. Wir befähigen Menschen, die Diversität mitbringen, zur Gründung.
Dem Venture Capital Markt entgeht viel ungenutztes Potential, wenn Menschen, die nicht dem Bias entspreche, ausgeschlossen werden. Wir reden hier von einer Größenordnung von 33 Milliarden Euro. Der amerikanische Markt ist hier weiter, wir suchen gleichgesinntes Kapital.
Wie steht die hannoverimpuls zu ihrem Konzept?
hannoverimpuls hat eine lange Tradition mit dem Gründerinnen-Consult. Das war ein Vorteil, weil dort bereits viel Vorarbeit zur Sensibilisierung für unsere Themen stattgefunden hat. Ich habe großen Handlungsspielraum, bei dem Versuch Tec-Startups in Hannover anzusiedeln. Durch die Positionierung als Safer Space für Chancengleichheit und Diversity erhalten wir bundesweit Anerkennung.
Wie erfolgreich ist ihre VentureVilla?
Wir bieten zweimal im Jahr ein 100 Tage-Programm. Die Teamanzahl hängt von Bewerbungslage ab: im 9. Durchgang haben wir 38 Bewerbungen erhalten. 33,3 % der Teams bestanden aus Frauen, 58,3% waren gemischt, lediglich 8,3 % waren männlich. Im 10. Durchgang erhielten wir 32 Bewerbungen, davon waren 15,7% eine Frauenteams, 62,3 % gemischte Teams und 22% männliche Teams. Spannender ist aber, dass wir im Batch 09 dann wirklich nur 8.3 % all-male Teams von insgesamt 12 Teams betreut habe. Die aktuellen Zahlen für Batch 10 werden wir zeitnah veröffentlichen.
Unser Marketing zielt deutschlandweit auf Hochschulen und Gründungszentren, aber am besten funktioniert die Mund-zu-Mund-Propaganda. Innerhalb der Frauennetzwerke gelten wir als vertrauenswürdig nach dem Motto: „Die VentureVilla ist gut, da kannst du hin.“
Der Erfolg des Safer Space ist im Ansatz fragil, weil er abhängig ist von den Handlungen einzelner. Das zeigt mir aber auch, wie wichtig unser Vorgehen ist. Wenn das schon ausreicht, Menschen zu akzeptieren, wie sie sind, dann ist es um das gesamte System schlecht bestellt.
Was sind Ihre persönlichen Erfolgskriterien?
Resilienz ist eine meiner größten Stärken. Für mich persönlich messe ich Erfolg am Grad meiner Autonomie und an meiner wirtschaftlichen Situation. Hohe Autonomie gepaart mit einer guten wirtschaftlichen Situation ermöglichen mir hohe Entscheidungsfreiheit und Gestaltungsspielräume für mich und mein Umfeld.
Misserfolg wäre für mich, wenn durch unüberlegtes Handeln oder zu wenig Sensibilisierung unsererseits der SaferSpace nicht aufrechterhalten werden kann. Misserfolg findet für mich eher im zwischenmenschlichen als im wirtschaftlichen Bereich statt. Ich will mich davon frei machen, die Verurteilungen der Menschen um mich herum auszuhalten oder in Relation zu setzen.
Welche Tipps können Sie Gründerinnen auf den Weg geben?
Den eigenen Wert kennen und den eigenen Weg gehen. Sicher sein, dass der eigene Wert nicht durch andere, sondern durch sich selbst bestimmt wird. Was für andere Scheitern ist, ist für mich vielleicht gesund.
- Sicher sein, dass es die passenden Investor*innen gibt, mit denen man Geschäfte machen will.
- Dazu gehört es, das Geld eines sexistischen Investors abzulehnen. Man muss sich gut überlegen, an wen man sich bindet, denn Investor*innen werden lange und regelmäßig Kontakt mit den Gründer*innen haben.
- Das System muss verändert werden, nicht die Frauen, um sich dem kaputten System anzupassen. Es hilft zu wissen, was passieren kann und dass es möglich ist, klare Grenzen zu ziehen, wann man nicht mehr partizipieren möchte.