Ute Gietzen-Wieland ist seit 2011 systemischer Business-Coach und Life-Coach in eigener Praxis in Bielefeld. Parallel ist sie als Senior Consultant Talent and Career, Potenzialdignostikerin sowie als Managementtrainerin in Festanstellung tätig. Ihre Coachingthemen sind Veränderung, Potentialentfaltung, Leadership,Mental- und Minds-Set-Coching, Work-Health-Balance, Hochbegabung und Hochstaplergefühl.
Bereits während des Ingenieurstudiums mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationswissenschaften, Technik und Management kam sie in Berührung mit dem Bereich Beratung und Coaching und erkannte ihre Berufung: Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln und Menschen, Teams und Organisationen in ihrer Weiterentwicklung zu begleiten. Insgesamt war sie mehr als 27 Jahre lang für führende deutsche und internationale Unternehmens- und Karriereberatungen, wie zum Beispiel v. Rundstedt, Mühlenhoff & Partner und Signium International, tätig.
Die 54- Jährige charakterisiert sich selbst als leidenschaftliche Wissenssammlerin und hat Aus- und Weiterbildungen in verschiedensten Ansätzen und Coaching Methoden absolviert. Unter anderem ist sie Systemischer Coach, Mental-Coach®, NLC-Master-Coach®, Magic Words-Trainer®, wingwave®-Coach für Mental- und Emotionscoaching sowie zertifizierter Coach für Hochbegabung/Hochsensibilität.
Das Thema Hochbegabung und Hochsensibilität spielt in Ute Gietzen-Wielands Biografie eine besondere Rolle. Als späterkannte Hochbegabte und Scannerin (Vielbegabte) hat sie viel Verständnis für die Lebensthemen ihrer Kunden*innen: „Für Menschen mit zahlreichen Interessen und Begabungen und die damit verbundene Menge an Möglichkeiten bedeutet die Entscheidung für eins oft eine Entscheidung gegen vieles andere. Das führt zu vielfältigen Problemen und im Ergebnis dazu, dass viel Potential ungenutzt bleibt.“
Vera Wiehe im Gespräch mit Ute Gietzen-Weiland: Was haben Hochsensibilität und Hochbegabung mit dem Hochstaplersyndrom zu tun?
Sie unterstützen Menschen mit viel Potenzial dabei, erfolgreicher und ausgeglichener zu leben. Wer gilt denn als hochbegabt?
Es existiert keine einheitliche Definition von Hochbegabung. Traditionell werden Menschen als „hochbegabt“ bezeichnet, die in einem Intelligenztest einen Intelligenzquotienten (IQ) von 130 und höher erreichen. Sie machen gut zwei Prozent der Bevölkerung aus. Gemeinsam ist allen Definitionen das Vorliegen einer sehr weit überdurchschnittlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit. Zusätzlich zur intellektuellen Fähigkeit (logisch-analytische Intelligenz) lassen sich weitere Begabungsbereiche wie soziale oder musische Begabung, bildnerisch-darstellende sowie psychomotorisch-praktische Begabung unterscheiden, die bei jedem Menschen verschieden stark ausgeprägt sein können. Hochsensibilität und Hochbegabung gehen häufig zusammen.
Warum benötigen hochsensible und/oder hochbegabte Menschen eine besondere Unterstützung?
Hochbegabte schilderten häufig negative Erlebnisse in der Schule. Viele wurden laut eigenen Angaben von ihren Lehrern weder gefördert noch adäquat gefordert. Außerdem empfinden die Kinder sich oft aufgrund ihres schnelleren Denkens als ´anders` und damit als nicht zugehörig. Vielseitige Interessen zu haben bedeutet, dass Kinder zum Beispiel bei langweiligen Dingen aussteigen. Das kann zu Minderleistung oder problematischen Sozialverhalten führen.
Der Umgang der Gesellschaft mit hochbegabten ist ambivalent, sie werden oft mit Klischees konfrontiert. Man unterstellt ihnen per se soziale Inkompetenz, weil sie Sachverhalte, Chancen und Probleme schneller, komplexer und ganzheitlicher erfassen, diese offen ansprechen und Lösungen über ihre Rollengrenzen hinaus entwickeln. Die Erwartungen sind sehr hoch. Wenn hochbegabte Menschen glauben, diese nicht erfüllen zu können, setzen sie sich mehr unter Druck als durchschnittlich begabte Menschen, die gar nicht erst auf die Idee kommen, etwas Besonderes leisten zu müssen. Gleichzeitig müssen sich Hochbegabte Menschen oft stark ausbremsen, um nicht ständig anzuecken oder andere unbeabsichtigt zu überflügeln. Ein Problem vielseitig begabter Menschen ist also, dass ihre Begabungen nicht als besondere Fähigkeit anerkannt werden. Wie war das bei Ihnen persönlich?
Die Berufswahl hat mich am Ende meiner Schulzeit in tiefe Verzweiflung gefühlt. Ich habe viele Interessen mit Leidenschaft verfolgt, wusste aber nicht, wie ich das in ein Berufsfeld gießen sollte. Ich habe mich selbst in der Biografie nicht sehr selbstwirksam erlebt. Durch die schnellere Art zu denken als die Umgebung, eckt man häufiger an. Man wird z.B. als Schwarzseher kritisiert, der nur Probleme aufbringt, die andere nicht sehen.
Wie mir geht es vielen Menschen mit Potential. Viele wissen nicht, dass sie so viel mehr und tiefer wahrnehmen als andere. Oft ist die Biografie von Zurückweisung und Mobbing, Burn-out und sonstigen Beeinträchtigungen geprägt. Eine häufige Erfahrung ist, dass man nicht annehmbar ist, so wie man ist und es deshalb schwierig ist, trotz ständigem Gegenwind Selbstvertrauen zu entwickeln und der eigenen Wahrnehmung zu trauen. Viele wollen nicht angegangen werden, stellen ihr Licht unter den Scheffel, verbringen ihr Leben mit angezogener Handbremse. Das ist tragisch, viele werden davon auf Dauer psychisch krank und ihre Potentiale bleiben ungenutzt.
Das Thema Hochbegabung hat mir Angst gemacht, weil ich meine Biografie so nicht erlebt habe. Ich hatte Angst vor einer Testung, fürchtete meinen eigenen beruflichen Standards nicht zu genügen und habe mich erst mit 48 dazu getraut. Das Ergebnis war erstmal ein Schock, eine Ich-Erschütterung bis in die Grundfesten. Man kommt sich selbst nicht so vor, als ob man schneller denken könnte und es dauert, bis man das Wissen integrieren kann und lernt, seiner Wahrnehmung zu vertrauen. Es dauert eine gewisse Zeit durch den Trauerprozess zu kommen. Ich wollte, ich hätte es früher erfahren, mir wäre viel Unangenehmes und Belastendes erspart geblieben.
Was bedeuteten diese Erfahrungen für das Coaching in Unternehmen?
Mir ist klar geworden, dass ich einen untrüglichen Blick für Menschen und ihre Potenziale habe und einen eingebauten Sensor für Unklares, Verstricktes und schwer Fassbares. Ich weiß, dass Hochbegabung große Chancen für Unternehmen wie Betroffene bereithält, wenn Verständnis und Wissen darüber auf beiden Seiten vorhanden sind. Das Problem ist, man nimmt sich mit, egal, wo man hin geht. Spätestens, wenn Sie als Mitarbeitende die gesamte Situation analysieren, an das Topmanagement berichten und nicht berücksichtigen, wie hoch politisch es dort ist, kommen Sie mit ihren Ideen verschiedenen Menschen ins Gehege. Wenn Sie als Führungskraft ihre besondere Begabung nicht kennen und ihren eigenen Standard als normal voraussetzen, verursachen Sie u. U. bei den Mitarbeitenden das Gefühl, es ist nie gut genug. Es geht also im Coaching auch um den Umgang mit Erwartungen, Grenzen der Selbstwirksamkeit, Ängsten etc. bezogen auf die jeweilige Lebenssituation.
Eins Ihrer Themen ist das Hochstapler*innen-Gefühl: Wer ist davon betroffen?
Trotz offensichtlicher Beweise für ihre Fähigkeiten sind die Betroffenen davon überzeugt, dass sie sich ihren Erfolg erschlichen und nicht verdient haben. Von außen als Erfolge angesehene Leistungen werden mit Glück, Zufall oder mit der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten durch andere erklärt. Unter Hochbegabten ist dieses Phänomen weit verbreitet, aber nicht nur bei ihnen. Die Angst etwas nicht hinzukriegen oder als nicht kompetent genug aufzufliegen, haben 70 Prozent der Berufstätigen mindestens einmal im Leben.
Der Grund ist, wir sind soziale Wesen und haben ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Wiederholte Erlebnisse von Zurückweisung erzeugen einen hohen Druck bis hin zu ständiger Versagensangst. Bei Hochbegabten besteht das Risiko, sich in den eigenen Analysen zu verlaufen, oder man war zu schnell und hat etwas übersehen. Es ist ein mühsamer Weg zu lernen, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen, selbst wenn das Umfeld alles in Frage stellt.
Sind Frauen mit ihrem Hang zu Selbstzweifeln eher vom Hochstapler-Gefühl betroffen?
Eine Reihe von Studien belegt, dass Männer und Frauen in etwa gleicher Zahl betroffen sind. Allerdings belegen weitere Studien, dass Frauen sich weniger positiv einschätzen als Männer. Frauen neigen Frauen dazu, ihre Selbstzweifel zu thematisieren und sich klein zu reden.
Die Effekte von unterschiedlichen Sozialisationen sind sehr deutlich. Während Männer ihr Selbstvertrauen hauptsächlich aus sich selbst schöpfen, ist der Selbstwert bei Frauen stärker von Rückmeldungen der Außenwelt abhängig. Die Wirtschaft ist noch immer eine Männerdomäne, es geht oft um Machtkämpfe, Rangplätze und Einfluss. Es gibt nach wie vor einen Genderbias: wenn frau im Business so reagiert, wie üblicherweise Männer reagieren, wird sie als zu hart abgelehnt. Handelt sie zu sehr nach weiblichen Standards, wird sie in der Führungsrolle als nicht tough genug gesehen. Frauen kennen oft männliche Machtspiele nicht, setzen eher auf Kooperation. Erhalten sie Gegenwind, weil ihr Verhalten als nicht adäquat bewertet wird, steigen die Selbstzweifel, ob frau gut genug und liebenswert genug ist.
Wie können Frauen in Unternehmen ihre Kompetenzen besser einbringen?
An der mittlerweile steigenden Zahl von weiblichen Führungskräften sehen wir, dass es sich herumspricht, dass Unternehmen mit weiblichen Führungskräften erfolgreicher sind. Wichtig ist es, am Standing und am Selbstvertrauen zu arbeiten. Im ersten Schritt sollten die Bereiche identifiziert werden, auf die man selbst Einfluss hat. Um sicher durch Machtspiele und Politik zu navigieren, muss man diese Spielregeln lernen, verstehen, mit welchen Bandagen gespielt wird. Und frau muss lernen, gut für sich zu sorgen. Im Ernstfall ist es wichtig, sich professionelle Unterstützung zu holen. Praktisch jede innovative Führungskraft nutzt inzwischen einen Coach als Sparringspartner.
Wenn Sie mehr erfahren wollen: www.gietzen-wieland.de
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