„Wir wollen den Nachhaltigkeitsaspekt in die Breite bringen und den Umweltschutz vorantreiben.“
Frauen in der Baubranche sind immer noch die Ausnahme. Immerhin gut ein Drittel der Architektur-, Planungs- und Ingenieurbüros sind in Frauenhand.
Dazu gehören seit dem Jahr 2021 Anna Bolz und Viktoria Klassen. Die beiden Bielefelderinnen haben schon zusammen das Abitur geschafft und ihr Studium. An der Fachhochschule Bielefeld in Minden haben Anna Bolz das Studium Architektur und Viktoria Klassen Bauingenieurwesen erfolgreich absolviert. Beide haben sich auf den Schwerpunkt Bauphysik spezialisiert. Sie eint die Leidenschaft für Nachhaltigkeit und ganzheitliche Ansätze.
Ihren beruflichen Einstieg fand Viktoria Klassen in einem Ingenieurbüro für Bauphysik erst als Projektleiterin, dann als Teamleiterin. Anna Bolz war im Bauamt der Stadt Bielefeld in der Bauberatung tätig. 2021 entschlossen die beiden sich zum gemeinsamen Schritt in die Selbständigkeit und gründeten Ihr Unternehmen die PlusPassivhaus GmbH. Als Passivhausexpert*innen unterstützen und beraten sie Bauherren, Architekten und Planer zu allen Themen rund um das energieeffiziente und nachhaltige Bauen, erstellen die Berechnungen des Passivhausnachweises sowie weitere bauphysikalische Nachweise. Zudem entwickeln sie wirtschaftliche und nachhaltige Lösungen für den Bestand.
Anna Bolz Viktoria Klassen im Gespräch mit Vera Wiehe über ihre Unternehmensgründung
Ihr habt im April 2021 die PlusPassivhaus GmbH gegründet. Welche Leistungen stehen hinter Eurem Schwerpunkt Bauphysik genau?
Viktoria: Unter Bauphysik versteht man unter anderem den Wärmeschutz, den Schallschutz und die Raumakustik von Gebäuden. Es geht darum, Bauschäden zu vermeiden und den Wohn- und Nutzungskomfort zu steigern. Dazu gehört es, energetisch wirksame Gebäude zu gestalten, Energieeinsparungen zu erreichen etc. Damit sind wir gut aufgestellt, denn es haben nur wenige Architekten einen Schwerpunkt auf Bauphysik.
Ihr habt im Team gegründet. Wie habt ihr euch gefunden?
Viktoria: Wir sind freundschaftlich verbunden und sind auf einer Wellenlänge. Das Wichtigste ist, dass wir uns wirklich gut ergänzen. Ich bin eher die technisch visierte und Anna ist der kreative Part.
Anna: Ja, das passt wirklich gut, Viktoria ist bei uns der Zahlenmensch und ich organisiere das Marketing und die Internetseite. Ich habe unsere Webseite, Logo, Flyer und Visitenkarten selbst gestaltet
Was bedeutet der Name PlusPassivhaus?
Viktoria: Wir spezialisieren uns auf die Passivhausplanung, das soll schon mit unserem Namen deutlich werden. Wir sind zwar nicht die einzigen mit dieser Spezialisierung, aber es gibt nur wenige Berater*innen mit unserer Expertise. In diesem Bereich ist noch viel Luft nach oben.
Anna: Mittlerweile gibt es mehr Städte und Kommunen, die den Passivhausstandard für die kommunalen Bauten voraussetzen, wie z.B. Gütersloh und Detmold. Da sehen wir unser Potential und wir wenden uns gerne an öffentliche Bauträger. Wir betreuen beispielsweise in Bremen den Bau einer Grundschule und eines Pflegeheims. Bislang konnten wir sechs größere Aufträge akquirieren. Wir waren z.B. in Bielefeld auf der Immobilien Messe und haben auch mit Fertighausherstellern gesprochen und gute Rückmeldungen bekommen. Wir waren doch sehr überrascht, wie aufgeschlossen die Anbieter uns gegenüber waren, obwohl wir junge Frauen sind, das war schön zu sehen.
Welche Dienstleistungen bietet ihr an?
Viktoria: Wir sind ein Ingenieurbüro für Bauphysik und bieten Passivhausnachweise nach dem Standard des Passivhaus Instituts an. Wir entwickeln Wärmeschutzmaßnahmen, bewerten Wärmebrücken, erstellen Schallschutznachweise, berechnen die Raumakustik, führen Luftdichtigkeitsmessungen durch und mehr.
Wie arbeitet ihr?
Anna: Wir haben einen Arbeitsplatz in einem Co-Working Space gemietet. Wir haben unsere Struktur auf hybrides Arbeiten ausgelegt. Das bedeutet, dass wir ortsunabhängig alle Arbeiten erledigen können, sowohl vom Büro oder von Zuhause. Im Space gibt es auch einen Besprechungsraum, den wir mit nutzen können. In der Regel besuchen wir aber unsere Kunden und wir wollen deutschlandweit aktiv sein. Im Moment haben wir noch Projekte in Heidelberg und in Darmstadt. Uns kommt das digitalisierte Arbeiten entgegen. Wir kommunizieren eigentlich immer über Videochat oder mit dem Handy. Das reduziert deutlich die notwendige Mobilität.
Was sind eure Unternehmenswerte?
Viktoria: Uns ist selbstverständlich wichtig, dass wir zuverlässig höchste Qualität liefern. Wir wollen den Nachhaltigkeitsaspekt in die Breite bringen und den Umweltschutz vorantreiben. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass die WHO-Umweltziele erreicht werden können. Die sind nur erreichbar, wenn der Gebäudesektor berücksichtigt wird und dazu gehört das Passivhaus.
Wie setzt ihr auf Digitalisierung?
Anna: Neben der Remote-Struktur unserer Arbeit setzen wir auf Cloudlösungen, die wir für Projekte nutzen. Alle Informationen und Daten werden an einer Stelle gesammelt, so dass jedem immer die aktuellen Informationen vorliegen. Das ist für die Planungsphase wichtig, das Verfahren wird beschleunigt und ist im Endeffekt weniger anfällig für Fehler.
Was sind eure Unternehmensziele? Wo steht ihr in fünf Jahren?
Viktoria: Unser Ziel ist es, das Unternehmen aufzubauen, Mitarbeitende einzustellen, unsere Projekte voranzutreiben und auch irgendwie ein Statement damit setzen zu können.
Anna: Ich gehe davon aus, dass wir die Digitalisierung unserer Projekte weiter vorantreiben. Wir wollen das flexible und ortsunabhängige Arbeiten auch nach Corona erhalten und weiterentwickeln.
Habt ihr eine Erklärung dafür, dass so wenige junge Frauen in technisch orientierten Bereichen selbständig arbeiten?
Viktoria: Ich habe das Gefühl, dass es mit fehlendem Selbstbewusstsein zusammenhängt. Viele haben nicht den Mut, diesen Schritt zu gehen. Gerade, weil es sich um eine Männerdomäne handelt, müssen Frauen sich noch mehr beweisen, um nicht unterzugehen. Beispielsweise kam im ersten Arbeitsjahr häufig die Frage, ob ich gerade eine Ausbildung mache. Oder der Chef wurde angerufen, nicht ich, obwohl ich das Projekt leitete.
Anna: Ja das stimmt. Frauen wird oft weniger Kompetenz zugesprochen, obwohl es nicht der Wahrheit entspricht. Oft sind Frauen sogar engagierter.
Wie kann die Situation für Frauen im Baubereich verbessert werden?
Viktoria: Wir sind in dem Netzwerk „Frau liebt Bau“ aktiv. Es gibt eine eigene Internetseite, eine Facebookgruppe und wöchentliche Telefonkonferenzen. Dort ist es interessant zu sehen, wie andere die Probleme angehen. Man unterstützt sich gegenseitig, kann Fragen stellen und es geht jeder auf einen zu. Vernetzung ist sehr wichtig.
Anna: Ja es gibt so viele Möglichkeiten über Instagram, Facebook oder LinkedIn solchen Gruppen beizutreten. Man kann Fragen stellen und hat das Gefühl, dass auf Augenhöhe geantwortet wird.
Was bedeutet für euch Erfolg?
Viktoria: Erfolg ist für uns, dass wir den Tag nutzen können, wie wir ihn nutzen wollen. Es ist dieses Selbstbestimmte, das Arbeiten für uns, und dass wir viel Spaß an unserer Arbeit haben.
Projekte abschließen, neue Aufträge generieren: das sind kleine Schritte, die für uns Erfolg bedeuten, die uns zeigen, dass wir das Unternehmen aufbauen und unseren eigenen Weg gehen können.
Anna: Wir wollen unser Leben selbst gestalten können und uns geht es nicht um den materiellen Erfolg
Wie geht ihr mit Misserfolgen um?
Viktoria: Echte Misserfolge hatten wir noch nicht. Hin und wieder gab es mal Probleme oder kleine Hindernisse, aber die muss man dann bewältigen. Die nimmt man an, lernt daraus und geht weiter.
Anna: Wir betrachten die Situation dann von einer anderen Perspektive und als Herausforderung, nicht als Hindernis. Das ist wie beim Sport: wenn man den Ball nicht bekommt, dann hakt man den ab und versucht den nächsten zu kriegen. Genauso ist es mit Aufträgen, wenn man diese nicht bekommt.
Habt ihr ein Lebensmotto?
Viktoria: Für mich ist es die Freiheit, selbstbestimmt zu arbeiten und das zu tun, was mir am Herzen liegt.
Anna: Mein Lebensmotto lautet: wenn sich eine Tür schließt, dann öffnet sich eine andere. Wenn sich eine Tür nicht öffnen lässt, dann ist es einfach nicht deine Tür.
Was sind eure Tipps für Gründerinnen?
Viktoria: Einfach machen.
Anna: planen und dann beginnen, über den eigenen Schatten springen und loslegen. Die Hindernisse kann man bewältigen. Man kann so viel Unterstützung und Hilfe in Anspruch nehmen. Am Ende wird man froh sein, wenn man den Schritt gegangen ist.