Jeannette Becker-Edeigba ist seit zwei Jahren Regional Sales Managerin der Testo Industrial Services GmbH, eines Tochterunternehmens von TESTO, einem Weltmarktführer im Bereich Messtechnik. Von OWL aus ist sie reisend im Außendienstvertrieb tätig – von Flensburg bis Fulda, von Ostfriesland bis Berlin – um ihren Kunden Unterstützung bei messtechnischen Dienstleistungen anzubieten. Dazu gehören Kalibrierungen, Qualifizierungen, Validierungen bis hin zu Engineering-Projekten. Sie berät Kunden aus dem Pharma- und Medizintechnikumfeld bei der Erstellung individueller Konzepte und erarbeitet gemeinsam mit ihnen Lösungen für ihre GxP-gerechten Maßnahmen (Richtlinien für „gute Arbeitspraxis“) in Rahmen der Qualitätssicherung.
Die Mutter eines 5-jährigen Sohnes schätzt die offene, partizipative Unternehmenskultur bei Testo: „Wir duzen uns alle und es gibt gute Möglichkeiten, Familie und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Auch viele männliche Kollegen nehmen Elternzeit. Die flexiblen Arbeitszeitmöglichkeiten fördern, dass auch Mütter bleiben und gehalten werden.“ Entsprechend ist der Frauenanteil bei Testo mit 40% von insgesamt 1.200 Mitarbeitenden recht hoch.
Die Groß- und Außenhandelskauffrau ist seit 14 Jahren im technischen Vertrieb tätig. Sie hat u.a. neun Jahre lang für die Hoffmann Group, Oltrogge Werkzeuge GmbH im Vertrieb gearbeitet, davon sechs Jahre als Gebietsverkaufsleiterin Werkzeuge. Dabei hat sie in 2015 parallel zu ihrer Schwangerschaft Vollzeit gearbeitet und eine nebenberufliche Weiterbildung zur Technischen Fachwirtin durchgezogen. Mit einem finalen Bauchumfang von 1,20 m Durchmesser ist sie bei Lehrern und Mitstudenten lebhaft in Erinnerung geblieben. Alle vier Prüfungen erfolgten wenige Wochen nach der Geburt, und sie ist parallel schon in den Job zurückgekehrt. Nach den erfolgreichen Prüfungen hielt sie von der durchführenden IHK Duisburg eine Einladung zur Besten-Ehrung.
Als technikaffine Vertrieblerin liebt sie es, sich in technische Komplexe hineinzudenken, Lösungen für Probleme zu finden und sich quer durch ihre Branchen zu vernetzen. Jeannette Becker-Edeigba möchte Frauen motivieren, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Sie selbst ist bereits acht Wochen nach der Geburt ihres Sohnes zurück in den Job gekehrt. Gleich der erste Tag war mit einer Hotelübernachtung verbunden. „Man wächst mit seinen Aufgaben und es hat gut funktioniert“ kommentiert sie diesen Einstieg lakonisch. Bis zum ersten Geburtstag ihres Sohnes arbeitete die Vollblut-Vertrieblerin mit 30 Wochenstunden, danach wieder in Vollzeit. Auch ihr Partner ist in Vollzeit erwerbstätig. Natürlich erfordert das nicht nur gute Abstimmung und Organisation. Neben einem familienfreundlichen Arbeitgeber sind flexible Kinderbetreuungsangebote, Großeltern für den Notfall und die gleichberechtigte Aufteilung der Familienarbeit ihre Erfolgsfaktoren.
Auch wenn sie die Offenheit für Frauen bei Testo als etwas Besonderes bewertet, sieht sie insgesamt eine positive Veränderung für Frauenkarrieren in der Wirtschaft mit Verweis auf Janina Kugel, langjährig Vorstandsfrau bei Siemens oder Dr. Sigrid Evelyn Nikutta, Vorstand Güterverkehr Deutsche Bahn AG. Sie ist überzeugt, dass Frauen in der Spitze der Konzerne sehr wichtig sind, um andere Frauen zu motivieren. Der wichtigste Karrieremotor ist nach ihrer Ansicht die Bildung. Sich eigeninitiativ mit den eigenen Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen und dementsprechend weiterzubilden ist der Schlüssel zur Karriere. „Es würde helfen, wenn Frauen sich mehr mit Finanzen und ihrem eigenen Recht befassen. Viele stehen sich dabei selbst im Weg.“
Aber auch die Unternehmen sind nach ihrer Meinung gefordert zu handeln, um Frauen entsprechend zu fördern. Denn gemischte Teams führen eher zum Erfolg als homogene männliche. Dazu kann auch eine Quote gehören, denn Zwang kann helfen, überhaupt etwas auszuprobieren. „Ich würde mir wünschen, dass die Unternehmen selbst auf den Trichter kommen. Wenn Frauen die Erfahrung machen, dass Unternehmen sie nicht wollen, sollten sie die Konsequenz ziehen und wechseln.“
Sie ist davon überzeugt, dass durch die Digitalisierung Karrierechancen für Frauen verbessert werden. So wird es durch den gestiegenen Home-Office-Anteil leichter, Familie und Beruf zu vereinbaren, auch wenn dadurch neue Herausforderungen entstehen, wie zum Beispiel die Quarantäneregelungen in Kindergarten und Schule zeigen. Da die Digitalisierung sich in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen befindet, fehlt es in den Bildungseirichtungen noch deutlich an der entsprechenden Infrastruktur, um das Potential wirklich auszuschöpfen.
Die Beteiligung an Netzwerken hält Jeannette Becker-Edeigba für sehr wichtig, nicht nur in strukturierten Netzwerken, sondern auch auf informeller Ebene. Dazu gehört es für sie, Beziehungen zu ehemaligen Kollegen*innen und Geschäftspartnern aufrechterhalten und zu pflegen. „Diese Kontakte sind sehr hilfreich, selbst wenn man zwei Jobs weiter ist.“
Sie beschreibt sich selbst als eine Person, die sich Ziele setzt, nicht schnell aufgibt und immer das Positive in Allem sieht. Als Erfolgseigenschaften erlebt sie ihre Willensstärke und ostwestfälische Sturheit. „Was ich mir in den Kopf setze, ziehe ich auch durch.“ Scheitern gehört für sie zum beruflichen Leben dazu. Wichtig ist, dass diese Erfahrungen produktiv genutzt werden. Denn erst, wenn man sich freundlich, aber kritisch reflektiert, den Prozess zu hinterfragt und die richtigen Schlüsse daraus zieht, kann man etwas lernen.
Ihre nächsten Ziele sind, auf beruflicher Ebene die vertrieblichen Erfolge weiter auszubauen und auf persönlicher Ebene Fitness und Gesundheit zu verbessern und natürlich sich stetig weiterzubilden.
Ihre Tipps für karriereorientierte Frauen lauten: Es ist wichtig, sich ständig weiterzuentwickeln, um auf Augenhöhe zu sein. Man sollte sich auch bei Misserfolgen nicht entmutigen lassen, denn wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich die nächste. Außerdem sollte man zu sich selbst stehen und aufs Bauchgefühl hören, sich Ziele setzen und diese auch verfolgen, um den eigenen Weg zu finden.